michael mayr - movements


Amputation beider Vorfüße nach Erfrierungen, starke traumatische Erfahrungen, neu gehen lernen

Nach einem Kletterunfall in der Eiger-Nordwand konnte ich nach neun Tagen in der Wand mit schweren Erfrierungen geborgen werden. Ein langes Jahr später wurde ich, „medizinisch geheilt“, mit der Amputation beider Vorfüße aus der Klinik entlassen. Lange Zeit war ich auf die Gehilfe von Krücken angewiesen, und meine Bewegungsfortschritte waren auf sehr kleine Erfolge beschränkt. Trotz der dauerhaften Betreuung von Ärzten und Krankengymnasten war es mir nur möglich, sehr kurze Strecken ohne künstliche Gehilfen zu bewältigen, und ich wurde darauf hingewiesen, dass ich mit meiner Behinderung keine allzu großen Fortschritte zu erwarten hätte. Für mich eine Situation, in die ich mich als ehemaliger Extremsportler erst langsam hineinfinden konnte.

Zwei Dinge haben jedoch in sehr kurzer Zeit mein Leben, vor allem meine Lebensqualität, entscheidend verändert:
Ralf Jakob, ein orthopädischer Schumacher, war durch hohen Zeitaufwand und unendlicher Geduld in der Lage, mir hervorragende Einlagen in meine Schuhe zu bauen, die mir einen erheblichen Fortschritt beim Gehen ermöglichten.

Gleichzeitig berichtete mir eine meiner Gitarrenschülerinnen, Ärztin von Beruf, über die Dynamische- Integrationsmethode von Ruth und Heinz Grühling. Anfangs stand ich dieser Sache sehr skeptisch gegenüber, das Ganze klang mir eher nach einem Bibelkreis irgendeiner Sekte. Trotzdem ließ ich mich auf die Behandlungen ein.

Es hat mich überrascht, dass ich zu Beginn der Therapie kaum nach meinen Beschwerden gefragt wurde. Leicht wurden meine Gliedmassen auf der Behandlungsliege durchbewegt und es wurden mir seltsame Fragen gestellt. „Welche Körperhälfte liegt tiefer? Ist Dein linker oder dein rechter Arm länger? Wie liegen Deine Fersen, Deine Waden, Deine Kniekehlen usw. auf der Unterfläche auf?“ Sehr ungewöhnlich, dachte ich mir. Das soll Behandlung für meine Füße sein? Zwischendurch wurde mir erklärt was die Dynamische Integration erreichen will. Es geht darum, dass sanfte Bewegungen keinen Schmerz erzeugen, denn alles was schmerzt, erzeugt eher eine Schutzfunktion (Hemmung), anstatt eine Erweiterung neuer Bewegungsmuster. Ah ja, dachte ich mir, klingt ja einerseits einleuchtend, andererseits aber genau das Gegenteil, was ich bis jetzt immer unter Training verstanden habe. Am meisten irritiert hat mich, dass nicht ein einziges Mal meine Füße behandelt wurden, sondern vielmehr meine Wirbelsäule und mein Kopf.
Irgendwann verließ ich dann diese erste Sitzung, und eine Menge Gefühle gingen durch mich hindurch. Verwirrung, durch die für mich völlig neue Sichtweise von Behandlung, immer noch etwas Skepsis, ob das Ganz den stolzen Preis pro Sitzung wert sei, was ich jedoch auch bemerkte, war, dass ich plötzlich ein Gehgefühl hatte, was ich seit meinem Unfall nicht mehr kannte, vielleicht sogar nicht einmal vorher gekannt hatte. Das Gehen war plötzlich so leicht, überhaupt mein ganzer Körper fühlte sich federleicht, nicht mehr dieses schwere Bündel, das schmerzhaft auf die wunden Füße drückte.

Die zweite Sitzung, der ich schon etwas offener gegenübergetreten war, folgte und wieder wurde ich einer Menge neuer Betrachtungsweisen ausgesetzt. Zunächst wurde mir erklärt dass ich hier nur zum Teil „be-handelt“ in erster Linie sei ich jedoch Schüler, er lernen solle, neue Bewegungsmuster in seine angelegten Bewegungsmuster zu integrieren. In meinem Fall hieß das eben so zu gehen, dass ich mir die Füße nicht mehr Wund laufe, die Bewegungsarbeit auf den ganzen Körper übertrage, lerne, mit den großen Muskelgruppen meines Körpers zu arbeiten, zum Beispiel eine Gehbewegung mit der Rumpfmuskulatur und nicht nur mit der Beinmuskulatur einzuleiten, ja sogar der Kopf, und zwar nicht nur der Inhalt, sondern auch die Bewegung oder Integration des Kopfes ist an meiner Gehbewegung beteiligt. Besonders hilfreich waren dabei immer die Vorstellungsübungen, die mir angeboten wurden, z.B. wie bei einer Marionettenpuppe an Fäden aufgehängt zu sein und so durch die Gegend zu laufen. „Wenn Sie es mal ausprobieren, werden sie sehen, sie laufen wirklich leichter und unbeschwerter. Solche Dinge sind natürlich nur ein paar flankierende Hilfen der Methode, bereichern aber die Behandlung ungemein.

Über eine Vielzahl von Sitzungen machte ich mich nun zusammen mit dem Behandler auf die Reise, die Bewegungsvielfalt und vor allem die Lernbereitschaft meines Körpers für neue Bewegungen zu entdecken. Und wahrlich, ich kam mir dabei vor wie Alice im Wunderland. Ein großer Teil der Arbeit lag darin, dass man versuchte, meinem Körper durch sanfte Bewegungsimpulse über den Umweg zum Gehirn alternative Bewegungsmuster anzubieten. Ein anderer Teil war die Wahrnehmungsschulung, die Wahrnehmungsfähigkeit zum eigenen Körper zu schulen, zu verfeinern. Nur wer seinen Disharmonien in seinem Körper spüren kann, ist in der Lage, an diesen zu arbeiten.

Mir fällt gerade auf, dass ich immer öfter das Wort Arbeit im Zusammenhang mit dieser Methode gebrauche. Ja es ist tatsächlich Arbeit mit seinem Körper bewusst umzugehen. Die Therapeuten der Dynamischen Integration sind keine Wunderheiler, zu denen man mit Krücken kommt, diese nach der ersten Sitzung wegwirft und dann für immer unbeschwert durchs Leben schwebt. Nein so einfach ist es leider, nein, Gott sei Dank, nicht. Ich sag Gott sei Dank, weil die Wahrnehmungsreise durch meinen Körper vieles in meinem Leben verändert hat. Man bekommt eine ganz neue Einstellung zu seinen Tätigkeiten. Man verschiebt durch die intensive Arbeit mit sich selbst Prioritäten, und wie ich meine immer in positive Richtung, auch wenn diese nur schwer bestimmbar ist. Aber leider ist es vielleicht gerade das, was so viele an dieser Arbeit abschreckt. Hier läuft es eben nicht so ab, dass einem etwas weh tut und der Onkel Doktor macht oder spritzt irgend etwas und danach tut es eben nicht mehr weh. Bei dieser Methode eröffnet der Therapeut oder besser der Lehrer dem Patienten oder konsequenter Schüler verschiedene Wege sich selbst zu heilen und mit einer körperlichen Einschränkung umzugehen.

Abschließend kann ich berichten , dass ich wieder Ski fahre, klettere, bergsteige und das alles auf so hohem Niveau, wie ich es mir vor Jahren nicht hätte träumen lassen. Bereits einige Jahre nach der Behandlung war ich in der Lage die Hochtouren- und Skilehrerprüfung abzulegen. Mir ist ein gehöriges Maß an Lebensqualität verschafft und nebenbei den Stellenwert eines vernünftigen Umgangs mit Sport und Leistung vermittelt worden. In meinem jetzigen Beruf als Gymnasiallehrer kann ich immer wieder Schüler beobachten, die eine Bekanntschaft der Dynamischen Integration für einen sinnvollen Umgang mit ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit bitter nötig hätten. Meistens scheitert die Umsetzung jedoch daran, dass die Kosten nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Dabei kann ich aus Überzeugung sagen (ich habe viele Methoden, klassische und sog. Alternative ausprobiert), dass es gerade im Bereich der Rehabilitation kaum eine Methode so verdient hätte, finanziell unterstützt zu werden, wie eben diese – Dynamische Integrations – Methode.

gez. T.B.

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